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Tierheim 'aktion tier Zossen'

Schwer vermittelbar - oder doch nicht?

Die Vermittlung einer Tiere im Tierheim stellt Mitarbeiter wie auch potentielle neue Halter vor große Herausforderungen. Meist sind das Tiere, die aus irgendwelchen Gründen eben nicht in das Beuteschema oder die Lebensumstände der meisten Menschen passen.

Tierheimleiterin Julia Dittmer und "Jojo"
Tierheimleiterin Julia Dittmer mit Hund 'Jojo', der mittlerweile vermittelt werden konnte. Foto: © aktion tier, Ursula Bauer

Sei es die Katze, die sich ängstlich verkriecht, sobald man das Zimmer betritt und faucht, wenn man sie bedrängt. Oder das Kaninchen, das aufgrund einer Erkrankung unter einer Kopfschiefhaltung leidet und lebenslang einer tierärztlichen Betreuung bedarf. Oder eben der doch eigentlich beste Freund des Menschen, der von einer Freundschaft erstmal nichts wissen will. „Benny“, „Tyson“ und „Jojo“ sind Hunde, deren Vermittlung die Tierheimmitarbeiter und potenziellen neuen Halter vor eine große Herausforderung stellt.

Benny hätte eigentlich sehr gute Vermittlungschancen. Er ist mittelgroß, hat kurzes Fell, ist von mittlerem Alter, sportlich und agil und verträgt sich gut mit Artgenossen. Eigentlich. Doch „Benny“ präsentiert sich eben nicht so, wie sich Hundeliebhaber ihren neuen treuen Freund vorstellen. „Benny“ braucht lange, ehe er Vertrauen zum Menschen gefasst hat. Er ist dabei nicht ängstlich oder unsicher. Er hat nichts Traumatisches erlebt, ist nie misshandelt worden oder hat eine dramatische Lebensgeschichte hinter sich. Nein, „Benny“ ist einfach ein reservierter Hund, der seine Individualdistanz einfordert. Er möchte nicht bedrängt werden, kann und will auch gar nicht damit umgehen, wenn er von fremden Menschen angesprochen, geschweige denn angefasst wird. Ganz offensichtlich wurde ihm nie vermittelt, wie das normale Miteinander in einem menschlichen Haushalt funktionieren sollte.

Ähnlich wie „Tyson“. Auch dieser prinzipiell freundliche, temperamentvolle und lebensfrohe Staffordshire-Mix wartet schon lange auf ein geeignetes Zuhause. Nicht nur, dass seine Rassezugehörigkeit ihm Steine in den Weg legt. Sein impulsives und oft hitzköpfiges Verhalten, gepaart mit einer geringen Frustrationstoleranz, machen eine Vermittlung in einen normalen Familienhaushalt nahezu unmöglich. Auch bei „Tyson“ zeigen sich ganz klar Sozialisierungsversäumnisse, mit denen es nun umzugehen gilt.

Mit anderen Worten haben beide nie gelernt, darauf zu vertrauen, dass in einer Hund/Mensch Beziehung immer der Mensch die Führung übernimmt.

Doch wie lernt ein Hund das?

Es sagt sich immer so leicht daher, „man muss die Führung übernehmen“. Letztlich muss ich mich fragen, was erwarte ich von meinem Hund? Ich erwarte von meinem Hund, dass er auf mich hört. Dass er sich anpasst, sich an die Regeln hält und alles natürlich freiwillig und mit Freude. Schließlich gebe ich ihm ja auch alles was er braucht. Ich gehe mit ihm Gassi, er bekommt immer pünktlich sein Futter, und es wird ja auch ganz viel gekuschelt. Doch reicht das, um einem Hund Führung zu suggerieren?

Ziehen wir doch mal einen Vergleich. Was macht einen guten Chef aus? Ein guter Chef bringt mir alles bei, was ich wissen muss, um meinen Job gut zu machen. Er kommuniziert klar und verständlich. Bei einem guten Chef weiß ich, woran ich bin. Er ist nicht launisch, nicht cholerisch, handelt nicht willkürlich. Er lobt mich für gute Arbeit, weist mich auf Fehler hin. Er zeigt klar Grenzen auf, schenkt aber auch Vertrauen und gibt Raum zur persönlichen Entwicklung. Bei einem guten Chef weiß ich ganz genau, was ich zu tun und zu lassen habe. Er motiviert durch entsprechende Anerkennung zur Leistungssteigerung. Ein guter Chef steht hinter seinen Mitarbeitern, reguliert aber auch, wenn einer über das Ziel hinaus schießt. Er organisiert, überblickt und handelt vorausschauend. Kurzum, nur ein souveräner Chef ist ein guter Chef. Denn Souveränität vermittelt Sicherheit und Respekt.

Kann ich das auf die Hundehaltung übertragen?

Kann ich das auf die Hundehaltung übertragen? Sicherlich nicht im vollen Umfang, denn ein wichtiger Aspekt wurde bei diesem Vergleich außen vor gelassen. Nämlich der der liebevollen Zuneigung. Und in den meisten Fällen lasse ich mir nicht abends auf der Couch den Bauch von meinem Chef kraulen. In der Hundehaltung unterscheiden wir nicht zwischen Arbeit und Feierabend. Und so selten wie es wirklich gute Chefs gibt, so häufig erleben wir Hunde im Tierheim, die eben nicht souverän durchs Leben geführt wurden. Und dann haben wir sie, die „Bennys“, die kontrollieren, die protestieren, die sich schwer damit tun, sich auf einen neuen Halter einzulassen. Denen man Zeit geben muss, Grenzen zu akzeptieren und sich führen zu lassen. Die erst lernen müssen, auf die Führung des Menschen zu vertrauen und Kontrolle abzugeben.

Die „Tysons“, denen es schwer fällt, ihre Erregung der Situation anzupassen und Frust zu ertragen. Und denen man langsam beibringen muss, dass Reagieren das Leben wesentlich entspannter macht, als Agieren.

Auf kaum einen Hund in unserem Tierheim passt die Aussage „wird nur in erfahrene Hände vermittelt“ so sehr wie auf „Jojo“. Ein junger kleiner Mischling mit niedlichen Fledermausohren. Und bei kaum einen anderen Hund ist die Aussage „Ach tatsächlich? So sieht er gar nicht aus!“ beispielhafter. „Jojo“ gehört zu den Hunden, die wirklich schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben und nur einen Lösungsweg hatten: Angriff. Er hat nur eine Konsequenz aus seinen Erfahrungen gezogen und die heißt: „bevor du mir etwas tust, halte ich dich lieber auf Abstand!“. Gott sei Dank ist er in der Lage, Vertrauen zu fassen und geht zu den Menschen, die einen Zugang zu ihm finden, eine unglaublich intensive Bindung ein. Hat man ihn einmal geknackt, ist diese Beziehung auch unumstößlich. Bei seinen Bezugspersonen ist er ein ganz normaler, verspielter, fröhlicher Junghund. Doch seine Erfahrungen sitzen tief. Sein Misstrauen gegenüber Fremden wird bleiben. Aber er geht Konfrontationen aus dem Weg. Sodass es ihm bei den richtigen Leuten, die mit Erfahrung und Fingerspitzengefühl an die Sache herangehen, möglich sein wird, ein Leben ohne Stress und ständiger Habachtstellung zu führen.

Da ist sie also wieder, die Erfahrung. Nein, Hundeerfahrung misst sich nicht an der Anzahl der Hunde, die ich mal besessen habe. Sie misst sich auch nicht an den Jahren, die ich schon Hunde hatte. Sie misst sich an meiner Fähigkeit, Hunde zu verstehen. Ihre Psyche, ihre Biologie, ihr Ausdrucksverhalten. Sie misst sich an meiner Fähigkeit, das Lernverhalten des Hundes zu begreifen und gezielt auszunutzen. An meiner Fähigkeit, Souveränität und Sicherheit auszustrahlen. An meiner Geduld und meiner Fähigkeit, den Hund zu beobachten. Mir die Zeit zu nehmen, genau hinzuschauen und die Signale, die mir der Hund aussendet, entsprechend einzuordnen. Es ist die Fähigkeit, die individuellen Bedürfnisse meines Hundes zu erkennen und mein Verhalten und mein Umgang diesen anzupassen. Wenn ich meinem Hund ein guter Chef bin, dann bin ich ein erfahrener Hundehalter. Also so gesehen, ist „schwer vermittelbar“ doch eigentlich relativ, oder?